Beiträge zum Thema: Vertraute Fremde: Frz./dt. 2010

 
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Toro
Toro
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Ich bin in letzter Zeit sehr schwer zu überreden, ins Kino zu gehen. Zu oft bin ich enttäuscht oder unnötig geschockt worden. Diesen Film hier habe ich in einem Stadtmagazin entdeckt und ihn gesehen: Wunderbar.

Ein Mann in mittleren Jahren, von Beruf Comiczeichner, steigt in den falschen Zug und landet statt in Paris in einem unbekannten Dorf. So unbekannt ist es aber nicht, denn bald merkt er, dass er hier seine Kindheit verbracht hat. Er besucht das Grab seiner früh verstorbenen Mutter, erinnert sich, was damals geschah: Der Vater ist beim Abendessen aufgestanden, weil kein Brot mehr da war – und kam nie zurück. Er hat Frau und Sohn verlassen. Die Mutter hat es nicht verwinden können und ist früh vor Kummer gestorben. Der Mann fragt sich nun, was eigentlich damals passiert war und warum und ob es nicht vermeidbar gewesen wäre.
Im Laufe des Erinnerns gibt es eine Zeitmaschine, der Mann wird wieder vierzehn und lebt noch einmal nach, was damals geschah. Allerdings behält er das Wissen, das er als reifer Mann hat, was zu allerlei bizarren und z.T. auch komischen Situationen führt.

Der Junge versucht aus seinem Wissen heraus, das Geschehen umzuschreiben, Einfluss zu nehmen. Wir erleben noch einmal die Szene beim Abendessen: kein Brot mehr da, der Vater steht auf, um welches zu holen, in dem Moment holt der Junge ein Brot unterm Tisch hervor: Brauchst nicht zu gehen. Der Vater geht trotzdem. Der Junge erreicht ihn noch am Bahnhof und versucht, ihn zu überreden, nicht in den Zug nach Paris einzusteigen. Der Vater fährt dennoch. Ein markanter Satz von ihm: „...bevor es auch für mich zu spät ist.“

Der Film beleuchtet intensiv das Vater – Sohn-Verhältnis und handelt über Kommunikation bzw. das Nichtvorhandensein derselben. Wie anders hätte alles laufen können, hätte der Vater mit der Mutter sprechen können, oder mit dem Sohn oder die Mutter mit dem Sohn. Die Sprachlosigkeit, die Unfähigkeit, sich mitzuteilen, wird gut thematisiert.
Es ist ein schöner und ein leicht tragischer Film. Mich hat er speziell erwischt, weil ich auch so ein sprachloser Vater war. Ein schöner Film, weil er – anders als z.B. amerikanische Filme – mit sehr ruhiger Kamera und klassischem Filmschnitt gemacht ist und den Zuschauer immer wieder einlädt, die Schönheit der Landschaft oder auch die Atmosphäre der französischen Kleinstadt wahrzunehmen und ein Stück weit zu genießen.

Ein Film fürs Gefühl, auch und gerade für Männer.

Toro

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