Merlin,
ich bin sicher nicht unspirituell, aber auch Spiritualität muss noch einen Teil der Geisteskraft beibehalten können. Der heutige Mensch, so er den nicht sichtbaren Wesen sich zuwendet, neigt dazu, manche Verantwortung an diese Wesen abzugeben. Alles, was irgendwie nicht verstanden wird, rutscht sofort in die höheren Sphären.
Auch hier, wie überall, ist jedoch des Menschen Wille sein Himmelreich.
Dass die Religion des Volkes Opium ist, gilt irgendwie auch heute noch. Man betüdelt sich lieber mit spiritistischem Kram anstatt zum Seelenklemptner zu gehen. Meine Nichte z. B., kaum hat die Gute einen Schulabschluss, kommt sie auf die Idee, sich zur "Reinkarnationstherapeutin" in einem zweimonatigem Lehrgang ausbilden zu lassen. Und nun wirbt sie damit, Menschen helfen zu wollen, die an Eßstörungen und hohem Nikotinkonsum leiden; sie heilt alle möglichen Wunden und viele Menschen sind bereit dafür gutes Geld zu bezahlen.
Ich frage mich, wo bleibt da der Verstand? Was nimmt man alles in Kauf und auf sich, nur um wirklich nicht an sich selbst und an seinem Zustand arbeiten zu müssen?
Die Religion ist nicht aus dem Menschen heraus zu bekommen, das steht fest. Weil er sich oder zumindest weil viele sich immer noch in der schamanistischen Phase befinden und Angst davor haben, ihren Verstand einzusetzen, um ihr Leben zu beeinflussen und zu ändern.
Ich habe selbst alles Mögliche zum Thema Spiritualität mitgemacht und zwar so lange, so lange ich diesen "Krückstock" gebraucht habe, weil ich mir selbst fremd war. Wer bereit ist, sich und sein angebliches Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, braucht weder Amulette noch die geistige Fahrt in ferne Vergangenheiten.
Ich fand eine bemerkenswerte Szene in dem Film mit Tom Hanks, in dem er einen Schiffbrüchigen spielt. Er ist allein und findet einen eingeschrumpelten Ball (oder ähnliches). Durch seine Handverletzung und das austretende Blut erhält dieser Ball eine Art Gesicht. Der Ball wird dem Einsamen zum Gefährten. Er spricht mit ihm und er wird ihm zum Trost.
So ähnlich mögen die ersten Menschen ihre Götterbilder geformt und ihnen Leben eingehaucht haben. Die Angst vor dem Übernatürlichen, vor dem Großen, Unfassbaren kann somit pariert werden. Dazu sende ich alles Gute, das ich in mir habe zu dieser Gottheit, damit sie mir wohlgesonnen bleibt. Dem Hokuspokus sind Tür und Angel geöffnet.
Und, wie im Christentum: Das Gute wandert zu Gott, wird Teil von ihm und beim Menschen bleibt die Schuld, die Sünde und damit gerät er in Abhängigkeit von der Gnade des von ihm geschaffenen Gottes.
Nora