Es gilt aber nach wie vor: Wie kann ich leben, wie komme ich mit einer Situation zurecht, die nicht unbedingt erfreulich ist? Destruktives Genöhle und Empörung bringen nicht weiter, es sei denn, die Empörung ist groß genug, um damit auf die Straße zu gehen - immer wieder. Aber wer macht das schon in Deutschland? Alles auf die Regierung zu schieben mag ja gewissermaßen berechtigt sein, aber wer ist die Regierung? Das sind jene Leute, die sich vom Volk in diese Position bringen lassen, damit das Volk seine Verantwortung nicht selbst tragen muss.
Wer von den Nöhlern und Verärgerten über die heutigen Zustände hat jemals daran gedacht, sich wirklich einzumischen? Wer hat seine Bequemlichkeit überwunden, um ordentlich sein Maul aufzureißen, dort, wo es gehört wird?
Warum gehen nicht (fast) alle HartzIV-Empfänger auf die Straße? Warum demonstrieren nicht alle Menschen ab 60? Warum hat niemand protestiert und demonstriert als die Krankenkassen die Praxisgebühren eingeführt haben, zur selben Zeit aber die Gehälter ihrer Vorstände erhöht haben?
Das Volk nöhlt und schimpft - es geschieht aber nichts. Weil wir wie domestizierte Tiere sind, die gewohnt sind, dass sie in einem warmen Stall stehen und gefüttert werden. Man blökt, wenn das Futter karg wird, aber es fehlt uns die Wildheit zum wirklichen Protest.
In Deutschland könnte man demonstrieren, ohne deswegen im Gefängnis zu landen, ohne sich in Lebensgefahr zu bringen...
Deshalb meine ich, dass der Druck noch nicht groß genug ist, noch kann der Mensch damit (offenbar) leben. Und für den Einzelnen, der nichts ausrichtet, gilt es sich selbst zu helfen. Ich werde mich nie in die Gruppe der Nöhler einreihen, weil ich weiß, dass man mit Eigeninitiative sich selbst einigermaßen weiterbringen kann. Für mich ist es dann egal, ob mein reicher Nachbar dreimal in Urlaub fährt, teure Kleidung trägt oder sonstigen Luxus zur Verfügung hat. Mein Leben wird auch noch lebenswert sein, wenn ich täglich nichts als Brot und Kartoffeln esse (und selbstgemachte Marmelade aus kostenlosen Wildfrüchten) und mein Mantel mich schon viele Jahre vor der Kälte schützt. Es gibt immer Menschen, denen es besser geht, das soll mich nicht in eine Depression bringen, aus der ich nicht mehr herauskomme. Viele Menschen vor mir haben bewiesen, dass man auch mit sehr wenig leben kann, und ich glaube nicht, dass es mir sehr viel schlechter gehen wird oder kann, als es den (vorallem) Frauen der Generationen vor mir ergangen ist.
Warum meinen wir eigentlich, dass wir ein Anrecht auf ein wohlhabendes Leben haben? Nur weil wir gearbeitet haben? Oder deshalb, weil wir Bewohner des westlichen Mitteleuropas sind und seit dem Krieg keine wirklichen Nöte und Katastrophen erleben mußten? Natürlich ist der Verlust der Arbeit für jeden Menschen eine persönliche Katastrophe, aber hier verhungert, im Gegensatz zu anderen Ländern, niemand! Warum meinen wir, dass wir Privilegierte sein müssen in einer Welt, die zunehmend verarmt - auch weil die westliche Welt sich bisher von den armen Ländern alles geholt hat, was zu holen ist, um selbst in Wohlstand sein zu können? Das westliche Mitteleuropa ist und war eine Insel, man lebte auf großem Fuß, holte aus der Dritten Welt, was es zu holen gab - haben wir uns wirklich über die armen Leute in Afrika und Asien Gedanken gemacht, uns über Ungerechtigkeiten dort aufgeregt, die Großteils vom Westen unterstützt wurden? Wie war das mit Südafrika? Man hatte, obwohl man von der bodenlosen Ungerechtigkeit dort wußte, mit diesem Land Handelsbeziehungen unterhalten, was der deutschen Industrie sehr zugute kam,
Heute holt es uns ein und es ist leider nicht so, dass unsere westlichen Segnungen in die armen Länder verlagert würden! Nein, es ist umgekehrt, heute kommen die Zustände von dort - dank der Globalisierung - zu uns. Dank der Mächtigen versucht man auch hier wieder alles abzuschaffen, was vor 150 oder 100 Jahren an Arbeits- und Sozialreformen geschaffen wurde. Es ist recht hochmütig zu sagen: Wir sind hier, wir haben gearbeitet und wir haben diese und jene Rechte. Wie man sieht, hat man sie eben nicht und wir erwachen nun aus dem Traum, der uns vorgegaukelt hat, dass unsere jahrzehntelange Mißwirtschaft auf Dauer so fortgesetzt werden könnte.
Zum Trost: Was wir heute erleben oder besser, was uns ein Blick in die Zukunft sagt, ist immer noch besser als das, was eine Frau in der Dritten Welt zu erwarten hat, wenn sie alt wird. Die Menschen verarmen, weil die Lebensweise des Westens zur Klimaveränderung beigetragen hat, so dass Felder verdorren, Haustiere verdursten, großes Elend entsteht. In diesen Ländern gibt es kein HartzIV, die Menschen verhungern.
Wir sind hier, zu sagen, bringt uns nicht weiter. Mit dem Fuss aufstampfen wie ein Kind und herumzunöhlen, auch nicht.
Die Erfahrung lehrt: Wenn man wenig hat, muss man damit auskommen. Man fährt dann nicht in die Berge, sondern geht mit seinen Kindern von der Haustüre aus zum wandern - es gibt keine Einkehr ins Gasthaus, sondern man hat Butterbrote dabei und Tee als Getränk. Man lehrt seinen Kindern nicht den unsinnnigen Konsum, sondern wie man auch mit wenig leben und glücklich sein kann. Manch eine(r) ist so groß geworden. Es gab in der !*%§?+#-~! meiner Eltern vor vielen Jahrzehnten einen Mann und eine Frau, die waren reicher als wir, die hatten damals sogar ein Auto. Trotzdem hat sich der Mann eines Tages umgebracht, obwohl wir als Kinder immer dachten, dass reiche Menschen glücklich sein müßten. Der Mann hatte offenbar auch nicht alles. Wir Kinder konnten uns das noch nicht vorstellen, heute sehe ich es anders...
Nora