Natürlich ist es nicht politisch korrekt, wenn ich heute Erdogan in die Nähe von Diktatoren bringe. Hätte ich vor einigen Jahren Erdogan einen Autokraten genannt wäre es auch nicht politisch korrekt gewesen, doch ist es heute fast normal, dass Presse und Politiker darauf hinweisen, dass die Türkei auf dem Weg in eine Autokratie ist.
Warum war ich nicht politisch korrekt? Weil es bei manchen Politikern, um sie gut einschätzen zu können nicht wichtig ist, was sie gerade tun, sondern welche langfristigen Ziele sie verfolgen und welchen Weg sie einschlagen.
1994 sagte Erdogan in einem Interview gegenüber der türkischen Tageszeitung Milliyet: „Gott sei Dank sind wir Anhänger der Scharia" (islamisches Recht) und „unser Ziel ist der islamische Staat". Und 1996 in einem weiteren Interview in der gleichen Zeitung wie die AKP, die Partei Erdogans, zur Demokratie stehe: „Perfekt. Aber ist Demokratie der Zweck oder das Mittel? […] Wir meinen, dass Demokratie nicht der Zweck, sondern das Mittel ist.“
Es gäbe viele Zitate, die zeigen welches Geistes Kind dieser Mann und seine Gefolgschaft ist. Er ist ein langfristiger Stratege. Und wenn ihm die Demokratie nicht mehr nützt, dann schränkt er sie ein, und wenn es sein muss bis zur Unkenntlichkeit. Bekannt wurde seine Aussage, in der er den Putschversuch von Teilen des Militärs im Juli 2016, als "ein Geschenk Allahs" bezeichnete. Nun hatte er seineserachtens das Recht mit voller Härte sein Programm durchzuziehen, die Türkei in seinem Sinne zu formen und jegliche Opposition einzuschüchtern, deren wirtschaftliche Grundlage zu entziehen, oder einzusperren. Es war die notwendige Voraussetzung, damit das Verfassungs-Referendum von 2017 ihm in einem Präsidialsystem die entsprechende Machtfülle zusprach. Trotz aller Repression und Medienkontrolle und der erhobenen Wahlfälschungen konnte er nur einem Vorsprung von 1,41 % erreichen.
Ich finde es fahrlässig nur politisch korrekt zu sein und nicht auf die Absichten dieses Herrn hinzuweisen, denn es ist offensichtlich, daß es die Türkei, die wir kannten, es mit ihm nicht mehr geben wird. Auch wenn noch ein großer Teil der Bevölkerung ihm zujubelt. Letzteres wird oft als Argument angebracht. Man braucht nur an die vielen Jubler denken - auch bei uns vor 80 Jahren. Und vielleicht ist das auch der Stichpunkt an die eigenen Populisten zu erinnern, die stückchenweise die Sprachmuster des 3. Reiches in unsere Alltagssprache einführen und die Grenzen des unsagbaren immer weiter ausdehnen.
Nocheinmal zurück zur Türkei und dem Krieg in Syrien. Die Türkei leistet sehr viel Unterstützung für die Flüchtlinge aus den Kriegsgebieten. Weit mehr als es Deutschland tut oder Willens wäre. Doch das wäre auch so, wenn es in der Türkei keinen AKP und keinen Erdogan gäbe.