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Orlanda
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@Silberstaub: "... Ich bin dankbar dass ich mich in so einer extremen Situation nicht als Mensch beweisen musste..."
Ich auch, liebe Silberstaub, und auch, dass ich damals nicht leben mußte!
Sicher hätte ich auch gekuscht, hätte ich mit anderem Verhalten meine Kinder und Familie gefährdet.
Aber da ist noch etwas Anderes: Ich hätte sicher nicht gejubelt und wäre auch nicht zum Jubeln gegangen, wie das doch so viele machten!
Es hat Menschen gegeben, die mitgelebt haben und sich still verhalten haben. Ob sie, um andere zu retten, sich und die Familie gefährdet hätten - wer weiß?
Und es gibt heute noch Menschen, die sich dafür schämen, was damals geschah; die erzählen, so wie meine Schwiegermutter, unter Tränen, als sie sich erinnert, wie die Ärztin auf ihrer Station abgeholt wurde, weil sie Jüdin war. Sie war damals knapp 20 und im Krankenhaus als Schwester beschäftigt. So viele, die sie kannte, kamen ins KZ und kamen nicht wieder.
Aber dann gibt es diese, wie jene 2 alten Ehepaare in der S-Bahn von Herrsching nach München, die laut behaupten, sowas (sie meinten damit zwei Buben, ca. 10 und 12 Jahre alt, die arg herumtobten) hätte es bei H. nicht gegeben, da wäre man ganz schnell weg gewesen und das wäre gut und richtig gewesen, weil eben damals noch Ordnung herrschte.
Und wie üblich bei solchen Gelegenheiten, hörte offenbar keiner zu... Auf meinen Aufschrei "das darf doch nicht wahr sein?" erntete ich nur indignierte Blicke...
Heute ist es nicht gefährlich, die Dinge beim Namen zu nennen, aber noch immer wagen sich nur wenige das zu tun. Heute muss man kein Held sein, um den Ewiggestrigen Paroli zu bieten.
Sprüche wie "das weiß man nicht, wie es damals war" oder "wie hätten wir reagiert" sind Schönredereien, Verharmlosungen. Es geht nicht darum, den Otto Normalverbraucher von damals zu beschuldigen, sondern jene, die H. begrüßt haben und sich zu seinen Thesen aktiv bekannt haben. Es gab damals schon kreischende Weiber, die vor Begeisterung in Ohnmacht fielen, wenn Adilein seine unsäglichen Texte hervorquellen ließ.
Man sollte sich nur einmal die alten Bilder anschauen!
Ich bin froh, dass ich damals nicht leben mußte, und ich habe größten Respekt vor jenen, die aktiv Widerstand leisteten.
Übrigens: Viele Widerstandsgruppen, so wie jene Partisanengruppe in meiner Heimat, waren bis vor kurzem noch als Aufwiegler verschrien und man vermied, öffentlich darüber zu sprechen. Bis eine Gruppe junger Menschen sich aktiv dafür einsetzte, dieses Kapitel der Geschichte öffentlich zu machen.
Was damals geschah ist so grauenhaft und so unfaßbar, dass man es noch nicht abschließen kann. Zuvieles ist noch vertuscht und unausgesprochen...
Orlanda