Beiträge zum Thema: 1913 - Der Sommer des Jahrhunderts

 
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Orlanda
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"Ein Jahr, in dem alles möglich scheint. Und doch wohnt dem gleißenden Anfang das Ahnen des Verfalls inne. Literatur, Kunst und Musik wissen schon 1913, dass die Menschheit ihre Unschuld verloren hat.

Man hofft auf Erneuerung und befürchtet den "Untergang des Abendlandes".

Ein atemberaubendes Porträt eines einziges Jahres - zusammengestellt aus viele einzelnen dokumentierten Geschehnissen und "fiktivem Kitt", der alle Elemente zu einem gelungen Werk verbindet.

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Ich bin noch nicht am Ende mit dem Lesen, aber schon jetzt total fasziniert von dem Buch! Vieles des Geschilderten kenne ich aus anderen Büchern, aus Erzählungen von Zeitgenossen, aus Biografien und im Lesen rundet sich alles, was ich bisher aus diesem Jahr 1913 erfahren habe, in dessen Zeitraum "das 19. Jahrhundert auf das 20. Jahrhundert der Kriege und Extreme knallt".

Leseprobe, Seite 198:
August 1913:

"Um die Truppenstärke zu erhöhen, beginnt in ganz Österreich-Ungarn die Suche nach Wehrdienstflüchlingen. So stellt die Polizei am 22. August 1913 eine Vermisstenanzeige:
"Hietler(!), Adolf, zuletzt wohnhaft Männerheim, Meldemannstraße, Wien, gegenwärtiger Aufenthalt noch unbekannt, Nachforschungen werden fortgesetzt.""

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Das Wetter war in 1913 in Wien nicht viel besser als das heutige:

"Dr.O. Freiherr von Myrbach weiß wenig Tröstliches zu berichten: Wie zu befürchten war, hat das heurige Sommerwetter im Wesentlichen den Charakter treulich beibehalten, den es von Anfang an trug. Seine Härten haben freilich etwas nachgelassen. Das will aber noch nicht viel sagten, denn der Beginn des Sommers war so außergewöhnlich schlecht, dass auch die spätere Zeit trotz der Besserung noch als schlecht bezeichnet werden muss...... - Die Durchschnittstemperatur betrug im August 16 Grad Celsius. Es war der kälteste August des gesamten 20. Jahrhunderts. Gut, dass das die Menschen 1913 noch nicht wußten."

In 1913 verschwand auch die Mona Lisa aus dem Louvre und ist im August noch immer unauffindbar. Man hat einen Corot an den verwaisten Nagel gehängt....

Orlanda
 
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Orlanda
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Die politische Seite ist in dem Buch leider nicht ausreichend präsentiert und deshalb halte ich Ausschau nach Lektüre, die die politischen Zustände in den betroffenen Ländern schildert und Hintergründe, die 1914 in diesen großen Krieg mündeten.

Orlanda
 
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Ehemaliges Mitglied
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Ist ja fast so, wie anno 1913.
Da graut mir doch vor dem 1. August
Villon
 
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Orlanda
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Das Buch ist zu Ende gelesen und das Jahr läuft aus. Der Leser weiß um das, was mit dem Glockenschlag, der das Jahr 1914 einläutete, seinen Lauf nahm. Die Menschen waren voll Hoffnung und voll Angst, manche geplagt von unheimlichen Zukunftsvisionen, andere schwelgten in einer kaum nachvollziehbaren Unbekümmertheit.
Und für so viele war es das letzte Silvesterfest, das sie feiern konnten.

Als Leser gerät man auch in einen ähnlichen Zustand, wie ihn die Menschen damals lebten. Im Buch werden immer wieder Geschehnisse, Aussprüche, Merkwürdigkeiten geschildert, die heiter stimmen, und doch durchzieht alles ein dunkles Band. Nicht nur das Wissen um das, was nach 1913 in die Welt brach, sondern auch das Unterschwellige, das Bedrohliche zeigt sich deutlich. Aber heute wie damals geht man darüber hinweg, verscheucht ungute Ahnungen und hält sich an das, was froh und heiter stimmt.

In manchem wird man beim Lesen an das Heute 100 Jahre später erinnert. Bedrohlichkeiten wurden damals und werden auch heute nicht ernst genommen. Aggressionen, Säbelrasseln in entfernten Ländern nimmt man nur am Rande wahr.
Gebettet in gute, wenn auch manchmal unrealistische Zukunftsvisionen verschläft der Bürger alle Möglichkeiten, das schlimmste zu verhindern.
Doch wer weiß schon, was wirklich geschehen wird...?

Heute bedrohen uns vorallem Umweltzerstörungen und die Manipulationen jener, die Macht und zuviel Geld besitzen. Weniger denn je sind die Machenschaften und Verwicklungen zu durchschauen. Betraf es 1913 in erster Linie noch Europa, so betrifft es heute die ganze Welt und weniger denn je erscheint es mir, dass Korrekturen noch möglich sein werden. Und mehr denn je wird klar, dass es keine wirklichen Sieger geben wird, wenn es zur Eskalation käme.

Trübe Aussichten, trübe Gedanken. Es geht aber weiter und so ziehe ich meinen Geist wieder zusammen in jene Bereiche, die selbst gestaltbar sind. Wir können zum Glück selbst entscheiden zwischen der Enge und der Weite unseres Denkens.
Harmonie liegt in der Mitte, im Unspektakulären und Gewohnten.
Und so beginnt ein gewöhnlicher Samstag mit all den Verrichtungen und Lustbarkeiten eines arbeitsfreien Tages...
Auch das Wetter verhält sich so, nicht warm, nicht kalt, ein wenig Sonne, ein wenig Wolken.. nicht Fisch, nicht Fleisch. Und es ist immer gut, einen Schirm in der Tasche zu haben....

Orlanda
 
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Orlanda
Orlanda
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Käthe Kollwitz hat nach einem verregneten Sommerurlaub mit Ehemann Karl in Tirol Depressionen. Sie ist verzweifelt über ihr Leben und ihr künstlerisches Werk.

Und dann fragt sie ihr Tagebuch: "Ich und Karl?" Antwort: "So eine dolle Liebe, die hab ich überhaupt nicht kennengelernt."
Karl interessiert sie nicht mehr. "Immer derselbe, bei dem man jede Nuance schon kennt, das kann die schlappere Sinnlichkeit nicht mehr reizen. Man müßte ganz andere Kost haben, um wieder starken Appetit zu bekommen."

Frauenprobleme anno 1913... - nur 1913??

Ich gehe jetzt raus in den Regen um zu Laufen, mit Arminda Cantero's Tangos.. im Ohr.
Wie gut das Geplinkere des Klaviers zum Regen paßt! Und es ist endlich wieder kühl, man kann wieder atmen.
Und es ist gleich Wochenende!
Wie ist das Leben schön!!!

Orlanda
 
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Orlanda
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Jetzt hab ich ja grad den wichtigsten Menschen vergessen:

Der Autor ist Florian Illies und erschienen ist das Buch im Fischerverlag...

Orlanda

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