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Orlanda
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Liebe Patti,
es bleibt wohl niemandem erspart...! Besonders empfindlich scheinen die Mutter-Tochter-Beziehungen zu sein.
Ich erlebte das mit meiner Tochter erst mit dem Tag als sie 18 war und damit war die Situation besonders krass. Wir hatten bis dahin ein lockeres und gutes Verhältnis - freilich wurde viel diskutiert und auch kontrovers.
Wir hatten eine Vereinbarung, nach der sie spätestens mit dem Bus um Mitternacht (als sie 16 war) daheim zu sein hatte - wenn sie bei ihrer Freundin war. Mit Diskobesuchen usw hatten wir kein Problem, es gab damals dieses Bedürfnis noch nicht - wir lebten "auf dem Land". Sie war sehr gut in der Schule und schwärmte für Boy George - daneben verblaßte jeder Junge..
Nun, als sie 18 war wollte sie es mir offenbar zeigen, dass sie tun und lassen konnte was sie wollte. Eines Tages gestand sie mir, dass sie sofort die Schule beenden wollte, um mit ihrer Freundin in Kanada eine Kneippe zu eröffnen und dort als Stepp-Tänzerin aufzutreten.
Ich erinnere mich, dass ich damals fast ausgerastet bin... Nun, es kam noch alles Mögliche daher und eines Tages war es soweit, sie hatte zum Glück die Schule weiter besucht und die Prüfung bestanden und war nun geprüfte Übersetzerin und Dolmetscherin.
Von Arbeitssuche keine Rede, so dass ich ihr klarmachen mußte, dass sie zwar im Elterhaus leben könnte, mit Essen und Kleidung (in angemessener Weise!) versorgt würde, aber für ihre anderen Bedürfnisse müßte sie halt arbeiten.
So jobte sie in einem Fotoladen (man wollte sich den ganzen Stress mit richtiger Arbeit nicht antun!) und als sie dort die Regale zu wischen hatte, beschloss sie, noch einmal eine Lehre zu machen. Diese beendete sie mit Bravou;, danach holte sie das Abi neben der Arbeit in der Freizeit abends nach (auch mit Auszeichnung!), studierte, arbeitete nebenher und hat nun eine gut bezahlte Stelle in einem Beruf, den sie liebt.
Alles ging gut - sie hat alles gemeistert, aus eigener Kraft und ist mir dankbar für meine Strenge. Sie wird bei ihrem Sohn genauso handeln, meint sie.
Mein Sohn gab keine derartigen Probleme, der hatte seinen Beruf schon sehr frühzeitig als Hobby und ist auch glücklich mit seinem Beruf. Er hatte als kleines Kind körperliche Probleme, die sich aber dank einer guten Therapie vollkommen lösten. Ich ließ ihn die erste Klasse wiederholen, weil er sich sehr schwer tat. Nach Jahren schaffte er den qualifizierten Hauptschulabschluss, nach seiner Lehre machte er den Meisterabschluss...
Er ging seinen Weg, hat ein ausgefülltes Leben, einen guten Beruf, der ihn ernährt.
Was will man mehr?
Liebe Patti, nach vielen Jahren sieht alles anders aus, das kann ich Dir prophezeien. Wenn man mitten drin steckt, meint man oft verzweifeln zu müssen...
Mir hat in allen schweren Lagen die staatliche Erziehungsberatung geholfen. Sie liefern nicht immer die Lösung, die man will, aber man kann sich mit jemanden vom Fach aussprechen.
Nach einem Gespräch findet man leichter aus den Problemen heraus, als wenn man mit sich selbst grübelt oder mit Menschen darüber spricht, die "behaftet" sind (z.B. Großeltern, die eine "strengere Hand" fordern...).
Wenn sich die Situation zwischen Eltern und Kind verhärtet und man fast nicht mehr miteinander sprechen kann, ist eine dritte, neutrale Person sehr hilfreich.
Ich kann Dir und jedem nur dazu raten, Dir bei einer Erziehungsberatungsstelle Hilfe zu holen. Es ist keine Schande und kein Zeichen von Schwäche oder Versagen, sondern eher das Gegenteil davon, wenn man die Hilfe in Anspruch nimmt, die jedem Bürger kostenlos geboten ist.
Ich hab auch gute Erfahrungen mit der Familienberatung der evangelischen Kirche gemacht. Die BeraterInnen sind sehr kompetent und neutral - man braucht keine religiöse Einflussnahme befürchten.
Ich wünsche Dir, dass Du mit Deiner Tochter bald wieder sprechen kannst. Man darf bei allem Kummer und allem Ärger niemals vergessen, dass sich die Kinder in Entwicklung befinden und meistens mit sich selbst unzufrieden sind. Weil man als Eltern auch nicht Jesus ist, hat man halt auch seine wunden Punkte, und so kommt es dann dazu, dass das Feuer hochlodert...
Zeig Deinem Mädchen, dass Du es liebst, dass Du Verständnis hast, aber auch nur ein Mensch bist, der verletzlich ist.
Alles Gute!
Orlanda