Beiträge zum Thema: Wissenschaft ohne Grenzen?

 
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Merlin47
Merlin47
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Vorgestern hatte ich in der Tageszeitung einen Artikel gelesen – der mich sich sehr beschäftigt hatte und mich in meinem Denken immer wieder einholt.

Ein Pharmaunternehmen hat ein Gel entwickelt, das Frauen vor einer Infizierung mit dem HIV-Virus schützen soll. Bis dahin wäre diese Nachricht ja recht erfreulich – nur was dann folgte, las ich mit Bestürzung. Man hatte nun beschlossen mit diesem Medikament eine Testreihe zu starten und dazu wurden in Afrika 900 Frauen ausgesucht.

Sie wurden in zwei gleich große Gruppen geteilt, alle bekamen eine ausführliche Beratung in Sachen Verhütung, Kondome und besagtes Gel. Was die Frauen nicht wußten, war der Umstand, daß die Frauen in zwei Gruppen eingeteilt wurden, wobei ein Teil das Gel mit den Wirkstoffen gegen HIV erhielten und der andere lediglich ein Gel als Placebo.

In der Testzeit hatten sich dann in der Gruppe mit dem HIV-Gel 38 Frauen infiziert und in der Gruppe mit dem Placebo 60 Frauen.

Eventuell sehe ich das ja alles viel zu eng und verkniffen, aber ich stelle mir einmal die Frauen aus der Placebo – Gruppe vor, die sich auf das Medikament verlassen hatten und so infiziert wurden.

Ich würde diese Testreihe ja verstehen, wenn es um Heuschnupfen ginge – aber nicht um eine Krankheit mit tödlichem Ausgang.

Hätte man da nicht auf das Leiden von 22 Frauen verzichten können und was geht da eigentlich in den Köpfen der Wissenschaftler vor?

Merlin
 
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Sonnenschein1958
Sonnenschein1958
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Liebe Kirie,
mir gingen, während ich den Text schrieb, einige Situationen aus der Firma durch den Kopf. Ein Arbeitsplatz ist ja so ein typischer Ort, an dem sich der Mensch meistens nur in seiner Maske präsentiert. Nur wenige wagen es, zu sein wie sie wirklich sind. Und je höher die Hierarchie, umso verbogener und verkorkster die Gemüter!
Da grinst die Sekretärin ihren Chef unterwürfig an - in Wirklichkeit würde sie diesem Möchtegern-Alpha gerne an die Kehle springen... Ein aufgetakeltes Weibchen betritt mein Büro und schnurrt einen älteren Kollegen an: Was sie da macht wäre in der Wildnis unter Primaten eine Aufforderung zum Überfall. Aber der arme Mann beherrscht sich, bekommt einen blauroten Kopf und bemüht sich beherrscht zu wirken. Ein junger Kollege versucht unterwürfig mich alte Kuh anzumachen. In der Wildnis bekäme er einen Prankenhieb, im Büro erspare ich mir jegliche Antwort...
Du siehst, liebe Kirie, wir sind alle noch im Dschungel...
Das Forum hier ist eine einmalige Chance zu provozieren, ohne dass man befürchten muss, gebissen zu werden.
Friedensapostel und Liebesmissionare können sich hier auch austoben und ihren süßen Honig herum verteilen, sie werden nur ein bißchen angeknurrt. Ihr Fell bleibt heil...

Nora
alte Wölfin, die schon mal zubeißt...
 
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Sonnenschein1958
Sonnenschein1958
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Merlin, es ist spannend - Dein Text und auch das Leben.
Mit solchen Gedanken durchbricht man das tägliche Einerlei und der Gang aus dem Haus, die Begegnung mit den Menschen wird wieder zur Herausforderung.
Wir spüren doch noch so viel - wie oft stellen sich bei einer Begegnung die Haare auf? Wie oft ist unser Lächeln nur eine Fratze bei der wir das Gebiss zeigen und die Augen nicht mitlächeln..?

Nora
 
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Merlin47
Merlin47
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Hallo zusammen,

in dieser Sache liegt sicherlich nicht der Kommerz oder Unwissenheit des Redakteurs die Ursache, sondern genau jene Mechanismen, von denen ich geschrieben hatte. In der Anonymität der Masse geht das eigentlich Fatale einfach unter und wird von dem im Grunde erfreulichen Ziel überstrahlt.

Nun ja, mit der Objektivität der Redakteure habe ich auch so meine ganz persönlichen Erfahrungen. Man kann aus einem Interview auch jene Passagen herausschneiden und zusammenfassen, welche die eigene Intension verfolgen. So wird häufig eine Meinung vorgegaukelt – die im Gegensatz des kollektiven Bewußtseins steht.

Erst gestern habe ich etwas über die Einflüsse der Gene und der Gesellschaft auf unsere Persönlichkeit gelesen. Sicherlich lernen wir mit den Konventionen unserer Gesellschaft den Umgang mit unseren elementaren Verhaltensmustern, aber das geschieht immer im Wechselspiel mit den genetischen Bedingungen.

Tief in unserm Unterbewußtsein und fern von unserer rationalen Logik bleiben wir also immer mit der archaischen Vergangenheit der Menschen verbunden.

So ist es auch bei den Tieren, ein Hund bleibt immer ein gefährliches Raubtier, selbst wenn er sich in die Gemeinschaft der Menschen eingefügt hat. „Der ist brav und tut nichts!“, ist leider ein weit verbreiteter Irrtum. Wenn der Schalter auf Jagd gestellt wird, vergißt er sehr schnell seine guten Manieren.

Wir wiegen uns mit einer beschaulichen Betrachtung der Tiere in ein Trugbild der Sicherheit. Ein Bulle bleibt hochgefährlich, selbst wenn er friedlich in seinem Stall oder auf der Weide steht und ein Hahn wagt auch den Angriff auf einen Menschen, wenn wir seinen Hühnern zu nahe kommen.

Was wir mit der zunehmenden Entfernung von der Natur verlieren, ist der Verlust unserer intuitiven Wahrnehmung, mit der wir auch nicht mehr erkennen können – wenn wir in den persönlichen Bereich eines Tieres oder eines Menschen eindringen.


So, das war das Wort zum Sonntag!
Merlin
 
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Sonnenschein1958
Sonnenschein1958
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Lieber Merlin,

es ist, auch wenn es manchmal nicht so scheint, wichtig, seine Meinung zu sagen und mitzuteilen. Ein Redakteur bemüht sich wahrscheinlich immer möglichst objektiv zu sein, bei vielen Themen sicher ein sehr schwieriges Unterfangen! Aber auch durch die objektive, positiv erscheinende Darstellung weckt er Gefühle und umso wichtiger erscheint mir dann das Feedback der Leser...

Manchmal erinnern mich die Menschen an jene Tiere, die in der Wildnis feste Strukturen hatten und bestens an die Natur angepaßt waren. Als domestizierte Tiere sind sie nur mehr lebensfähig, wenn Hilfe von außen kommt...

Viele von uns haben die Wildheit noch in sich bzw. sind sich dieser Wildheit bewußt. Wie ist das bei Tieren? Nach zwei Generationen der Geburt in Gefangenschaft verliert sich diese Wildheit. Aber bei manchen Tierarten wie z. B. den Schafen oder den Rindern reicht eine kurze Zeit und der Mensch hat sie verloren - sie lassen sich nicht mehr fangen.
Bei den Menschen ist es ähnlich: Manche schnuppern die Freiheit und werden hinter Mauern nicht mehr glücklich... Eine Stunde im Wald und das alte Jägerblut erwacht...

Nora
 
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Ehemaliges Mitglied
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hallo Merlin,

ich frage mich, ob sich der Redakteur Deiner Tageszeitung über das Unrecht bewußt war. In den Medien wird leider auch vieles falsch gemacht; aus Unwissen, aus Ignoranz oder auch bewußt nach dem Motto "Hauptsache mir geht es gut und mein Job wirft was ab".

Freut mich, dass Du hingeschrieben hast.
So was tue ich auch. Es ist das Mindeste und oft auch das Einzige, was man direkt tun kann. Ich hoffe, Dein Leserbrief wird auch veröffentlicht.

emirena
 
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Merlin47
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Liebe Nora,

an verschiedenen Stellen in diesem Forum habe ich schon über unsere Nähe zu den Tieren geschrieben. Je mehr man sich mit der Psyche des Menschen beschäftigt, je geringer wird gerade der Abstand zu den Primaten.

Irgendwann stellt man sich dann auch die Frage, worin wir uns eigentlich von ihnen unterscheiden. Ich habe schon eine Menge darüber gelesen und nachgedacht, aber eine richtige Antwort habe ich darauf noch nicht gefunden.

Ich glaube auch nicht, daß es bei dem Test mit dem Gel um Gut und Böse ging, sondern um unsere Grenzen. Eine unserer Stärken, mit der wir unsere Art durchgesetzt hatten, ist die Gemeinschaft. Dieses Verhaltensmuster ist tief in unserem Unterbewußtsein verankert und bestimmt unser Wesen.

Das Fatale daran ist, daß wir mit Gemeinschaft jene Sippen meinen, mit der unsere Vorfahren durch die Savannen und Wälder der Vergangenheit streiften – also ca. 10-15 Personen. Alles was über diese Zahl ist betrachten wir deshalb als Fremde.

So wird auch bewußt, warum die 900 Frauen für uns den Status als Individuum verlieren und nur noch als abstrakte Sache gesehen werden. Erst wenn wir uns einer einzelnen Frau zuwenden, wird das eigentliche Unrecht oder Fehlverhalten deutlich.

Diesem Phänomen begegnest Du in vielen Ereignissen – die ihren ganzen Schrecken erst preisgeben, wenn man sich einzelnen Schicksalen zuwendet. Erst der einzelne Mensch wird zum Nächsten, dem wir uns auch verbunden fühlen.

Ein weiteres Verhaltensmuster, das in dem Test eine Rolle spielt, ist das starke Bedürfnis der Menschen zur Perfektion. Man begnügt sich nicht, die Wirkung des Gels zu testen, sondern folgt den geschaffenen Strukturen der empirischen Wissenschaft: Es muß also der Gegenbeweis erbracht werden!

So verstehe ich auch, warum der Redakteur meiner Tageszeitung das Ganze in einem positiven Licht geschrieben hatte, ohne auf das Unrecht hinzuweisen. Keine Sorge, ich habe ihm geschrieben, ich konnte es nicht lassen.


Merlin
 
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Sonnenschein1958
Sonnenschein1958
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Merlin, es gibt diese Filme, in denen ein oder mehrere Wissenschaftler als Wahnsinnige dargestellt werden - harmlose Filme gegenüber der Realität....

Manchmal kann ich das was Menschen machen nicht mehr fassen. Zu gerne glaubt man an das Gute im Menschen oder dass es zumindest eine generelle Entwicklung beim Menschen zum Guten gäbe. Wahrscheinlich ist alles nur eine Einbildung, ein Wunschgedanke, ein Blitzgewitter eines überentwickelten Gehirns!

Unsere nahen Verwandten, die Primaten, zeigen in ihrem Verhalten auch viele der 'menschlichen' negativen Eigenschaften - von Boshaftigkeit gegenüber ihren Artgenossen bis hin zu Kannibalismus, Kindstötungen usw. Der Mensch ist aber Dank seines Verstandes in der Lage, diese Bösartigkeiten auch noch auszuweiten und auszubauen. In diesem Bereich sehe ich viele unserer Wissenschaftler. In ihrem Wahn gibt es keinen Platz für Ethik und Respekt vor dem Leben...
Nora
 
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Ehemaliges Mitglied
Ehemaliges Mitglied
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finde ich nicht, Merlin,

dass Du das zu eng und verkniffen siehst; es ist schlicht und einfach menschenverachtend!
Unfassbar, was man sich da herausnimmt; sind ja "blos" afrikanische Frauen.
Leider Realität. Und bestimmt nicht der einzige Fall.

Ich habe längst aufgehört, in Politik und Wirtschaft Vertrauen zu setzen, wenn es um Menschenwürde bzw. Menschenrechte, um Freiheit und Gerechtigkeit geht.

emirena

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