Beitrag aus Archiv
Merlin47
Anzahl Beiträge: 1616
Liebe Kirie,
natürlich muß man nicht immer grübeln, aber ein wenig über sich selbst nachzudenken kann sicherlich nicht schaden.
Sorry, wenn ich auf Deine Frage nicht eingegangen bin – es war bestimmt keine Absicht.
Einer der Gründe, warum der Mensch so erfolgreich wurde, liegt in seinen besonderen sozialen Fähigkeiten. Diese Gabe wird aber erst durch das selbst Erfahren richtig perfektioniert. Wir lernen dabei mit unseren Emotionen, Gefühlen aber auch mit unseren Fähigkeiten umzugehen, damit wir ein nützliches Teil der Gemeinschaft sein können.
Genau an dieser Stelle ist aber auch der Punkt, an dem wir uns mit jedem neuen Tag von uns selbst entfernen. Wir lernen, daß es nicht gut ist, seine Gefühle zu zeigen, weil wir uns damit auch verletzlich machen. So gibt es viele Gründe, warum wir immer mehr Mauern um uns errichten, bis wir uns selbst nicht mehr erkennen.
Gerade im Berufsleben ist zielgerichtetes, rationales Handeln angesagt, da bleibt wenig Raum für Gefühle. Das verändert uns dann auch nach und nach, ohne daß wir es selbst bemerken. Dazu kommen noch die familiären Dinge und der Freundeskreis, der uns gefangenhält.
Wir finden dann meist kaum noch Zeit und Ruhe, um uns selbst einmal wieder zu finden. Im Laufe der Jahre entfernen wir uns dadurch immer weiter von unserem eigenen Ich und werden zum Spielball unserer Gesellschaft. Es wird uns ständig etwas einsuggeriert, was wir brauchen, was man von uns erwartet oder wie man sein soll.
Wenn man in der Situation steht, merkt man diese Veränderungen meist nicht, erst wenn es gelingt einen Abstand zum Alltäglichen aufzubauen, wird deutlich, daß man an seinem eigentlich Leben vorbeilebt. Jeder von uns hat schon Brüche in seinem Leben erfahren und dabei bemerkt, wie unwichtig damit manche Dinge werden können.
„Was mach ich da eigentlich?“, ist doch eine Frage, die sich schon jeder einmal gestellt hat. Man kann das nun als rehtorische Frage mit einem Punkt versehen oder sich aber mit dem Fragezeichen auf die Suche nach dem Warum begeben.
„Wer andere kennt, ist klug. Wer sich selbst kennt, ist weise“, ist eine alte Lebensweisheit und jeder, der sich auf den Weg zu sich selbst macht, wird das schmerzlich erfahren.
Der größte Gegner auf diesem Weg ist unsere rationale Logik, die alles regeln und beherrschen will. „Was nicht sein darf, kann auch nicht sein!“, ist eine ihrer Maxime, mit der sie uns den Blick auf uns Selbst verwehrt. Eigene Schwächen werden gerne unter den Teppich gekehrt und manche Wünsche oder Bedürfnisse verschwinden irgendwo im Keller bei den Kartoffeln.
Um sich selbst zu erkennen bedarf es also einiger List, um die Ratio dann zu umgehen, wenn sie gerade nicht so präsent ist. Der ungeschminkten Wahrheit über unser Seelenheil begegnet man in den nächtlichen Träumen, aber deren Sprache richtig zu verstehen ist leider nicht ganz so einfach.
Dennoch ist jegliche Art der Entspannung der beste Weg über sich selbst nachzudenken. Einfach einmal alles abschalten, für niemand erreichbar und ganz alleine zu sein.
Ausgedehnte Spaziergänge oder Laufen in der Natur, bei denen man ganz alleine ist, stellt eine besondere Form der Meditation dar. Das hängt mit unserer archaischen Vergangenheit zusammen.
Wichtig ist dabei halt, daß man sich nicht mit dem aktuellen Leben oder mit ungelösten Problemen beschäftigt, sondern mit dem Denken und Fühlen längst vergangener Tage. Was ist aus diesen Dingen geworden und warum ist das für mich nicht mehr so wichtig?
„Was wäre, wenn ...?“, ist auch so eine Frage, die man in seinen Tagträumen durchspielen, kann. Wichtig sind auch die unangenehmen Fragen, die man klären und sie dann mit ihrer schmerzlichen Wahrheit annehmen sollte.
Manchmal entdeckt man in diesen Wahrheiten auch eine Maske, hinter der man sich gerne versteckt. Jeder der sich schon einmal mit einer solchen Frage beschäftigt hat, weiß, wie schwer es wirklich ist, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen. Er kann aber auch erfahren, wie erleichtert man dann sein kann, wenn man diese Wahrheit angenommen hat.
Man muß nicht perfekt sein, um geliebt zu werden. Ist es nicht schöner, wenn mich jemand meinetwegen liebt und nicht weil ich versuche jemand zu sein?
„Wer selber jemand sein will, kann nicht erkennen, wer er wirklich ist“, ist eine alte Lebensregel, die man mit dieser Erkenntnis verbinden kann.
Wer glaubt, ein erfülltes Leben entsteht durch Anhäufung von Aktivitäten oder blindem Aktionismus, der irrt, denn es entsteht durch die Erfüllung seiner innersten Wünsche und Bedürfnisse.
Es wäre aber nun ein grober Fehler seine ganze Aufmerksamkeit nur noch auf sein eigenes Seelenheil zu richten, denn auch hier gilt, daß es für alles seine eigene Zeit gibt.
So, wird es zum Beispiel bei mir gerade Zeit, nach dem vielen Nachdenken in mein Café zu gehen, um einfach einmal nichts zu tun. Eventuell verliebe ich mich da ja einmal wieder ganz spontan: wer weiß?
Merlin :-))