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Orlanda
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Endlich wieder einmal nach Salzburg!
Seit mehr als 20 Jahren zieht es mich hin. Jetzt, da ich Thomas Bernhard's Aussage über diese Stadt, sie sei eine Todeskrankheit und man könne sich ihr nur durch Selbstmord entziehen bzw. gehe auf diesem Todesboden"indirekt langsam und elendiglich" zugrunde*, überwunden habe, liebe ich Salzburg nach wie vor.
Morgens um halb neun setze ich mich in die Bahn, die über zwei STunden durch's niederbayrische Hügelland schnurt, von Dorf zu Dorf, durch Wälder und Wiesen; vorbei an unendlichen schönen Wanderwegen und Landschaften.
Als ich starte regnet es aus einem eintönig grauem Himmel, doch nach und nach lichtet sich das Gewölk. Kurz bevor mein Zug die Grenze nach Österreich überquert, ist der Himmel blau. Von weitem grüßen schon der Untersberg und die Berchtesgadener Berge.
Der neu renovierte Salzburger Bahnhof empfängt den Reisenden freundlich und hell, alles ist sehr übersichtlich und auf kurzem Weg ist der Busbahnhof erreicht. Ich beschließe aber, wie immer, zu Fuß in die Stadt zu gehen.
Schloss Mirabell, die 'Residenz' der Mätresse eines Fürstbischofs, ist wie erwartet überschwemmt von vielen Touristen. Es ist keine hurtige Masse, sondern eher ein zäher Teig, der sich nur zögernd und schleichend an den Rosenbeeten und Blumenrabatten dahinbewegt. Ich flüchte unter den Pergola-Weg, der sich linker Hand im Schatten dahinzieht und gelange so recht schnell und ungebremst aus dem Schlosspark ins Zentrum.
Salzburg und seine Touristen, das mag viele abschrecken, vorallem im Sommer. Die Touristen gehören aber dazu. Ein Salzburg menschenleer? Das wäre nicht echt, nicht lebendig, man würde vermuten, man befände sich in einem schlechten Traum.
Mein obligater Weg führt mich in ein paar Trachtengeschäfte, die unberührt sind von der touristischen Lust der Verkleidung, nur 'echte' Trachtenkleidung verkaufen. Ich finde aber nicht, was ich suche, dafür zwei schlichte, schöne Trachtenblusen zu einem himmlisch niedrigen Preis.
Noch schnell am Markt beim altbekannten Standl das Paar Frankfurter Würstl mit 'Semmerl' gegessen. Ein Opa steht da und füttert sein Enkerl mit enthäuteten Würstln, während er sich mit der Standl-Frau unterhält. Der Kleine jubelt und jauchzt, als zwei Tauben ihn umzingeln, in der Hoffnung, dass etwas vom frugalen Mahl für sie abfällt.
So gerüstet ersteige ich den Mönchsberg. An der Treppenwand ein Gedicht von Georg Trakl über das schöne Salzburg. Und vor mir liegt sie, die alte Stadt, so, als wüßte sie nichts von all dem Häßlichen und Unschönen, dass es auch hier zu allen Zeiten gegeben hat. Doch heute ist alles unter Zuckerguss verborgen. Die Sonne wärmt und stimmt milde. Vielleicht hätte sich auch T. Bernhard erweichen lassen und seiner Stadt ein wenig Versöhnung zukommen lassen?
Ich verlaufe mich, anstatt weiter bergauf zu gehen, stürme ich den Weg hinunter und sehe dann von unten nach oben, dass mein Weg falsch war. Also wieder rauf... Eine gute Maßnahme in Anbetracht der stundenlangen Zugreise und der damit verbundenen Bewegungslosigkeit.
Eine Schulklasse sitzt am Weg, aufgereiht wie die Spatzen und flirtet mich an. Ich frage sie, ob denn "die Wadl'n ausgelaufen" seien und die jungen Leute verstehen mich und lachen: "Ja, das stimmt!" Denn Witz versteht man nur in Österreich, vermute ich...
Im Cafe des Museums der Moderne bestelle ich bei einem sehr vornehm und sehr österreichisch anmutenden Kellner Earl Grey Tee und ein Linzerkipferl. Nun liegt Salzburg unter mir und mein Blick geht weit darüber hinweg auf grüne Berghänge und Wiesen, Bauernhöfe, weit oben an den Wäldern. Vielleicht sind die Bauern dort die wahren Könige von Salzburg? Sie sind allem enthoben und sehen die Pracht aus ihrer Warte. Ich stelle mir vor, wie wohl eine Vollmondnacht da oben aussehen mag? Unten die Lichter, die im Mondlicht schimmernde Salzach. Der Lärm der Stadt, in verträglicher Entfernung...
Nach einer Stunde bin ich aus dem Museum wieder heraußen. Eine interessante Ausstellung, viele Fotografien, das Thema Röcke tragen (wie hier im Forum, dachte ich mir) erstreckt sich über einige Räume. Themen wie (Künstler-)Selbstportraits und Selbste (Dieter Roth) nehmen gefangen.
Der Himmel hat sich währenddessen verändert - Wolken brauen heran, verdichten sich.
Nun aber schnell wieder runter vom Berg, hinein ins Gedränge der Stadt. Ich will ja noch Lebensmittel bei Billa kaufen - ein paar österreichische Besonderheiten.
Mit voller Tasche geht es nun Richtung Bahnhof und ich überlege ob ich zu Fuß gehen oder mit dem Bus fahren soll. Ich geh zu Fuß, hab ja noch viel Zeit und deshalb gibt es noch einen Abstecher ins Cafe Bazar. Ein lauschiger Platz am Rand ist gerade frei. Gnocchi mit Salbeibutter und gebratenen Parmaschinken-Streifen, kleiner Salat, ein Achterl Grüner Veltliner (es lebe die italienisch-österreichische Monarchie!) und zum Abschluss Espresso. Dann überlasse ich meinen Platz einer alten Dame, die so aussieht, wie ich einst aussehen möchte: Sie ist wohl eine Einheimische, trägt Dirndl und Hut. Wiedereinmal denke ich, dass die österreichische Tracht alle Frauen gut kleidet, ob sie nun 6, 14, 40 oder 80 sind...
Nun gehts mit dem Bus zum Bahnhof. Der Himmel sieht nun schon etwas sehr finster aus und als kurz vor 17 Uhr der Zug einfährt, ist der Untersberg unter einem großen schwarzen Hut fast vollständig verdeckt. Es wird finster und im Zug geht das Licht an. Als sich der Zug in Bewegung setzt, beginnt es zu regnen - nein, es ist eine Art Sintflut, die sich über Salzburg ergießt.
Sind's Tränen? Oder gar eine Reinigung, vom heiligen Thomas persönlich über die Stadt geschickt?
Die Stadt hat zu kämpfen mit dem vernichtenden Urteil ihres Sohnes. Man findet hie und da Sprüche von Thomas Bernhard, auch jenen, in dem es heißt, Salzburg sei eine Krankheit. Scheinbar steht man dazu, setzt sich auseinander. Und ich frage mich, wie lebt man weiter mit der Nichtvergebung eines Verstorbenen? Es gibt keine Rehabilitation mehr. Der Deliquent muss schauen, wie er fertig wird mit allem.
Als der Zug über die große Salzachbrücke fährt werfe ich noch einen Blick auf die Stadt und ihre Burg. Es ist wie mit einem Menschen: Wenn man liebt, liebt man auch das Unschöne, das Dunkle, die Kehrseite. Sie gehören zum Leben: Licht und Dunkel. Insgeheim hat Thomas Bernhard seine Heimatstadt wohl auch geliebt, sonst hätte ihn das, was ihm hier angetan wurde, nicht so geschmerzt.
Orlanda
*) Thomas Bernhard, Die Autobiographie, 'Grünkranz'