Beiträge zum Thema: Die Spezialisierung des Menschen und ihre Folgen

 
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mir tut es Leid für Dich, Orlanda, dass Du von den Zuständen der Firma, für die Du (noch) arbeitest, so extrem geprägt bis, dass Du Dir kaum noch vorstellen kannst, dass es auch Auswege aus solchen Nerven aufreibenden Verhältnissen gibt .

Wie die Arbeitswelten vor 30 Jahren waren; kümmert mich ehrlich gesagt heute nicht mehr die Bohne. Damals brachte ich viel Energie auf, um mich solchen Gepflogenheiten
nicht unterwerfen zu müssen. Ich habe es nicht bereut, quasi gegen den Rest meiner damaligen Welt aufzubegehren und meiner eigenen Wege zu gehen. Auch das war nicht immer einfach, aber es war richtig.

"Alles zu seiner Zeit"; ja sicher, das ist aber nicht für alle dieselbe Zeit.

Man kann und soll Menschen auch nicht zu dem zwingen, was man als deren vermeintliches Glück betrachtet.

emirena
 
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Orlanda
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Liebe Emirena, es ist wohl die Schau vom Höhepunkt zurück auf fast 30 Jahre.
Ich bin mit großer Leidenschaft wieder in den Beruf eingestiegen, nachdem ich 13 Jahre lang Hausfrau und Mutter war. Alles zu seiner Zeit, war und ist immer noch meine Devise.

Vor 30 Jahren war die Arbeitswelt noch eine ziemlich andere. Es gab Vorgesetzte, die waren aufgrund ihrer Verantwortung meistens 10 Stunden präsent und mit ihnen ihre Sekretärinnen.
Es gab Tage und Wochen der Arbeitsflut und Hektik, aber es gab auch wieder Zeiten der Ent-Spannung.
Der Chef war vorallem eine Art Lieber Gott, streng aber gütig (ein späterer war dann ein Bilderbuch-Psychopath - in meiner Rückschau stellt er eine Art Glanzpunkt dar).

In den 90igern traten plötzlich sogenannte Unternehmensberater auf, die brachten alles durcheinander und der Umorganisation fielen einige Vorgesetzte zum Opfer (2 erlitten einen tödlichen Herzinfarkt - man hat sich für ihre Leistungen postum auf das tiefste bedankt!).

Was blieb war eine demoralisierte, verängstigte Meute an Mitarbeitern, die mit aus einer zugekauften Firma stammenden neuen Vorgesetzten "beglückt" wurden.
Damals fing das Unheil an - nicht für die Firma, denn die stand sich immer besser, schwamm an der Oberfläche des tosenden Weltwirtschaftsozeans gekonnt dahin, bekam kaum Schieflage...

Die Oberen bekamen Visionen und steuerten unseren Ozeanriesen damit durch das Weltwirtschaftsmeer.
Eine Vision jagte die andere und die unteren Etagen hatten nun nur mehr die Aufgabe diese Visionen mit Leben zu füllen.

So taumelt man heute noch von Vision zu Vision und kaum ist eine vorbei ist schon wieder die nächste am Horizont...
Das meiste ist aus meiner Sicht so wichtig wie ein Kropf.
Die Leute, die die wirkliche Arbeit machen, die das Kapital einfahren, das oben visionär verschleudert wird, werden immer weniger und bekommen immer mehr Einschränkungen, auch finanzieller Art.

Ich habe in den letzten 4 Jahren viel gearbeitet und gesehen, wie wenig Zeit einem fürs Leben bleibt, wenn man sich sehr engagiert.
Ich sehe die Massen morgens an der von der Firma hingestellten Kaffeemaschine (und ich trinke meinen 'handgemachte' Kaffee) und ich sehe sie mittags in die Kantine laufen. Ich mag mir mein Futter selbst machen und sei es nur ein Sandwich oder ein Salat...
Alles ist still und duckmäuserisch. Man jammert in der Kaffeeküche, doch keiner macht wirklich "sein Maul" auf, aus Angst es könnte der Karriere schaden.
Dabei werden höhere Posten ohnehin nur von außen bestückt...

Ich könnte dieses Lied noch lange weitersingen. Vielleicht wird es eines Tages so etwas wie ein Nibelungenlied auf die Firma.
Aber mit Happy End, denn ich heirate nicht Attila und ermorde alle, sondern schnür mein Ränzlein und gehe meiner WEge (mit Staffelei und Nähmaschine im Gepäck)...

Ich habe Kollegen (vorallem sind's die Männer), die sich trotz allem nur schwer vom Arbeitsleben und der Firma trennen. Sie haben noch nicht gelernt zu sehen, was sie verlassen, weil sie Zeit ihres Lebens nichts gesehen haben, sondern nur brav garbeitet und ihren Dienst getan...

Orlanda
(aus die Maus)
 
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liebe Orlanda,
kein Mensch muss sich dafür entscheiden, ALLES abzugeben.

Nachdem Du von Kochen, Nähen usw. geschrieben hattest, dachte ich nicht, dass Du die Spezialisierung im Arbeitsleben meinst.

Im privaten Umfeld habe ich selbst früher, als meine Kinder noch klein und das Geld knapp war, sehr viel selbst geschneidert etc., aber freiwillig würde ich auch heute niemals die Zubereitung und Zusammensetzung meiner Speisen "abgeben".
Es sei denn, gelegentlich bei einem Restaurantbesuch.
Aber auch da denke ich, ich esse lieber zu Hause, als in einem schlechten Restaurant für viel Geld.

Wenn man sich das Prinzip der Arbeitsteilung ganz bewußt zu Nutze macht, wird man doch dadurch nicht zu einem hilflosen, infantilen Geschöpf!!
Noch nicht mal dadurch, dass man sich für einen bestimmten Beruf und eine bestimmte Spezialisierung entscheidet.

Ich lege großen Wert darauf, bewußt zu wählen, womit ich meine Zeit verbringe. Was mir wirklich wichtig ist, würde ich niemals abgeben, so lange ich in der Lage bin, die betreffende Tätigkeit auszuüben.

Bei vielen alten Menschen wird oft das Essen zum einzig verbliebenen sinnlichen Vergnügen. Deshalb fände ich es für mich ganz schrecklich, mich von dem ernähren zu müssen, was man z.B. in Kliniken vorgesetzt bekommt. Das wirkt sich dann auch auf das seelische Wohlbefinden aus. Zum Glück war das für mich nur ein relativ kurzes Intermezzo.

Damit hast Du schon Recht:
"Während die Vereinzelung in der Gesellschaft gefördert wird (weil der Einzelne aus Sicht des Staates leichter zu gängeln ist), wird diese in der Firma unterbunden (das Team, die Gruppe ist leichter zu kontrollieren).
Brav machen alle mit."
(Du bist wohl einfach zu lange schon in der "falschen" Firma - oder noch nicht lange genug, um die für Dich richtigen Schlüsse und/oder Konsequenzen daraus zu ziehen. Leichter gesagt als getan - ich weiß.)

Aber bald wird (bei Dir) alles gut und Du kannst Dich mit großer Leidenschaft allen Beschäftigungen hingeben, die Dir Freude bereiten.

Freude am Leben zu haben, trotz aller eventuellen negativen Vorzeichen, ist irgendwie auch eine Kunst, die wohl nicht jedem gegeben ist.

emirena
 
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Orlanda
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Ja, liebe Emirena, das ist ja alles gut und schön!
Aber merkst Du nicht, dass der Mensch, der alles abgibt, auch die Zubereitung seiner Nahrung, mit der Zeit zu einem hilflosen, infantilen Geschöpf wird?

Wir müssen doch nur mehr für den Dienst an der Vermehrung des Kapitals und zur Bereicherung der Aktionäre wirklich da sein!
Wir werden dafür gefüttert wie die Hühner, die ja auch nichts Anderes zu tun haben als Eier zu legen! Wir haben nur eines den Hühnern voraus, dass wir noch nicht geschlachtet werden, wenn unsere aktive Produktivität vorbei ist.

Mit der Abgabe aller für einen selbst wichtigen Tätigkeiten schrumpft man zum domestizierten Haustier.

Verliert man nicht damit auch jegliche Eigenverantwortung? In manchen Firmen geht es schon zu wie bei Sientology: Der Chef sagt wir seien eine große Familie und es wird bestraft, wer bei den angeordneten Events (Geburtstags- und Weihnachtsfeier etc.) nicht mitmachen möchte. Der Chef mischt sich ein, wenn die Damen der Abteilung sich weigern in der Teeküche für Sauberkeit zu sorgen.

Während die Vereinzelung in der Gesellschaft gefördert wird (weil der Einzelne aus Sicht des Staates leichter zu gängeln ist), wird diese in der Firma unterbunden (das Team, die Gruppe ist leichter zu kontrollieren).
Brav machen alle mit.

Anders ließe sich unsere Gesellschaft, unsere Wirtschaft und vorallem die modernen Zeiten doch gar nicht managen, nicht wahr? Stimmt, ohne Mitläufer gäbe es keine Diktaturen.

Nein, das Rad rückwärts zu drehen funktioniert nicht. Aber das Rad stehen zu lassen an einem Punkt, der mit Sicherheit kein Höhepunkt in der Evolution des Menschen ist, bringt uns auch nicht weiter.

Vielleicht muss sich die Menschheit erst einmal gesundschrumpfen bis sie wieder auf ein Level kommt, an dem man wirklich von Weiterentwicklung sprechen kann..??

Orlanda
 
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sehe ich (mal wieder) anders, sorry.
Als die Erde noch dünn besiedelt war, MUSSTE jeder alles können, um zu überleben.
Heute, bei 6 Milliarden (?) Erdenbürgern kann es nicht funktionieren, dass jeder komplett sein eigenes Süppchen kocht. (im übertragenen Sinn).
Dafür würde einfach der Platz nicht ausreichen.
Die Notwendigkeit von Arbeitsteilung ist logische Folge der Überbevölkerung.

Ich finde es schön, wenn man Dinge selbst machen kann; Nähen, Stricken, Kochen, Gartenarbeit, Wohnung renovieren, all das mal gemacht zu haben (habe ich auch) ist keine schlechte Erfahrung, um die Leistung anderer Menschen zu respektieren und anzuerkennen.

Jeder sollte m.E. genau das tun können und dürfen, was ihm Freude macht; jeder sollte aber nicht alles machen MÜSSEN, denn das wäre zu zeitaufwändig, um den heutigen Anforderungen gerecht werden zu können.

Die Erde ist zu klein für mehrere Milliarden von Einsiedlern und Alleskönnern.
Wer alles selbst tut, wird auch keine Zeit haben, große Ziele zu verfolgen.
Es hat aber beides seinen Sinn; die täglichen kleine "Besorgungen" und die großen Pläne und Entwicklungen, die die Menschheit so hat werden lassen, wie sie heute existiert. Das Rad rückwärts zu drehen, kann auch nicht die Lösung sein.

emirena
 
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Orlanda
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Ich nähe mir Kleidung gerne selbst und stricke auch. Eine alte grüne Jacke, mit Zopfmuster, einst, 1982, zu meinen Jagdklamotten in unendlichen Stunden selbst gestrickt, fiel mir neulich wieder in die Hände. Ein Hirschhorn-Knopf fehlt - den hatte in der Unvernunft seiner Jugend mein Hund abgefressen. Nur die Metallöse hängt noch dran. Der Jacke fehlt sonst nichts. Hätte ich diese Jacke gekauft, schon längst wäre sie in der Kleidersammlung gelandet. So aber beherbergt sie nicht nur Erinnerungen, sondern auch meiner Hände Arbeit.

In einer Zeit, in der das, was ich (in der Arbeit) gerade mache, schon gleich wieder wertlos und hinfällig geworden ist, weil schon wieder neue Visionen anstehen, wird diese Jacke zum Symbol der Beständigkeit.

Es fängt damit an, dass man sich in dem, was man macht, wiederfindet. Wir sprechen so gerne von Seele und ob es sie gibt oder nicht. In das was ich mache, herstelle, findet sich z.B. meine Seele und dann ist es gute Arbeit. Nur Dahingeflattertes, Flüchtiges, streift mich nur und es ist niemals Zeit, mich einzubringen. Es fliegt dahin und schon streift mich das Neue.
Kann das GUTE Arbeit sein? Nein! Doch so arbeiten die meisten von uns. Ständig in Hektik, ständig in Eile. Was wir im Moment tun ist ehe wir zu Ende gedacht haben auch schon wieder vorbei und vergessen.
Nichts erinnert daran, was wir noch vor kurzem gemacht haben.
Deshalb entfliegt uns auch die Zeit so schnell, weil wir sie nicht besetzen!

Orlanda

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