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Orlanda
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Es ist wie mit den Toten eines Krieges: Wenn es viele, Tausende und zig-Tausende sind, packt alle das Entsetzen.
Der Einzelne, der einen fürchterlichen Tod erleidet, hat nicht diesen heroischen Glanz...
Und doch ist es für jeden einzelnen Menschen, den der Krieg umbringt ein ganz persönliches Waterloo...
"Schlimmere Zeiten gab es auch schon.." - das mag der Einzelne denken, wenn ihm ein kleines Übel widerfährt. Aber es ist keine Aussage, wenn es um Not und Elend Einzelner oder auch ganzer Völker geht.
Ein Einzelschicksal (deshalb weniger schrecklich?):
Heute morgen im Zug, kurz vor München. An der Tür im Zug steht der Zugführer mit einem armseligen Menschen, vielleicht so alt wie ich. Er hustet und spuckt, man meint ihm fällt gleich die Seele aus dem ausgemergelten Körper. Der Zugführer rügt ihn, weil er auf den Boden gespuckt hat. "Ich hab Astma", meint der kranke Mann. Er ist nicht zerlumpt, aber man sieht ihm an, dass er keine Kraft hat, sich um seinen optischen Zustand zu kümmern. Genausowenig kümmert ihn auch die Ordnung und Reinlichkeit im Zug. Wer so tief im Dreck und im Elend sitzt, dem gilt all der zivilisatorische Firlefanz nichts mehr.
In München angekommen, übergibt der Zugführer den Mann vier bereits wartenden Polizisten, zwei davon Frauen. Sie schauen alle besorgt drein und scheinen sich um den Mann kümmern zu wollen. Die Pflicht des Zugführers ist getan.
Ich hoffe, dass der Mann ärztliche Hilfe bekommt, vielleicht ist er ja aus irgend einer Einrichtung geflohen. Doch was wird aus ihm, wohl kaum wird sich seine Situation ändern. Er hat sich offensichtlich in den Zug geflüchtet, irgendwo zwischen Regensburg und Landshut.
So ausgegrenzt sein aus einer Welt, so erbärmlich verlassen erscheint mir der Mann. Ich muss mich beherrschen, um nicht zu heulen.
Welches Leben hat er bereits hinter sich, welche Schicksalschläge haben ihn soweit gebracht?
Das ist auch Elend und den es trifft, ist es egal, ob es schlimmeres gibt oder nicht. Wer so tief eingesunken ist, spürt nur mehr die Not um sich und die Verachtung, die Ignoranz der Anderen...
Was habe ich getan?
Ich bin in die Arbeit weitergefahren.
Mit einem bitteren GEfühl.
Orlanda