Abwrackprämie für 60plus?

Natürlich bin ich weder ein Auto noch ein Wrack. Ehrlich gesagt, existiere ich überhaupt nicht, denn ich komme nicht im Doppelpack daher. Und dafür muss ich bluten – zumindest nach Ansicht von Reiseveranstaltern. Wer allein lebt und reist muss draufzahlen oder daheim bleiben. Es gibt nur Doppelzimmer. Das einzige Einzelzimmer ist bereits vergeben. In Städten ab 500.000 Einwohnern wurde im März 2004 mit 49% nahezu jeder zweite Haushalt von nur einer Person geführt, so das Statistischen Bundesamt.
Die Frage nach Einzelzimmern ist also berechtigt. Zudem machen Business-Hotels vor, was im Tourismus angeblich unmöglich ist. Kalkulieren Reiseveranstalter ein, dass Kunden keine andere Wahl haben?
Obwohl die Welt des Reisens offenbar nur von Ehepaaren lebt, werde ich umworben wie das seltene Exemplar einer besonders lukrativen Zielgruppe. Warum sonst schickt mir „S…-Club 60 plus“ ständig ungebetene Angebote für Seniorenreisen ins Haus? Auf dem Briefkopf ist ein alter Herr zu sehen, was andeuten soll, dass es hier wirklich um Alte geht, um Senioren, die Monat für Monat angeblich über 2.000 Euro Pension beziehen. 
Die Ignoranz der Branche lässt vermuten, dass Einzelzimmerzuschläge lohnend sind, denn „S…-Club 60 plus“ ist kein Einzelfall. Normalerweise wäre die Werbung postwendend im Papierkorb gelandet – wenn ich nicht über die Abwrackprämie gestolpert wäre.
„S…-Club 60 plus“ preist Busreisen in großen Lettern an: im Juni für 629 Euro, im September für 649 Euro. Aus dem Kleingedruckten geht jedoch hervor, dass die Zielgruppe mit Einzelzimmerzuschlag (ohne Reiseschutzpaket und andere Extras) mit 809 beziehungsweise 829 Euro zur Kasse gebeten wird – wobei gehobene Preise nicht gehobene Ansprüche bedeuten.
Paradox ist, dass Alleinreisende unter 60 Jahren 27 Euro draufzahlen,Alleinreisende über 60 Jahre satte 180 Euro. Und das bei einem Unternehmen, dass sich mit „60 plus“ an Personen über 60 Jahre richtet! Irritiert frage ich mich: Bedeutet „60 plus“ etwa, dass ich draufzahlen muss – obwohl ich mich als Frau, als Alleinstehende, als Seniorin dreifach diskriminiert fühle? 
Warum nennt sich der Club nicht „Reisen für Grufti & Komposti“, wenn er Sechzigjährige zum alten Eisen zählt? Alleinlebende über 60 sind weder „Auslaufmodelle“ noch unzurechnungsfähige Wracks, zudem selten so dick, dass sie ein Doppelbett brauchen.
Natürlich gönne ich keinem etwas Schlechtes. Ich behaupte nicht einmal, Veranstalter hätten Millionen ihrer Kunden übersehen. Im Gegenteil. Nur halten sie es leider nicht für nötig, sich nach den Wünschen einer Zielgruppe zu richten, ohne die sie nicht existieren könnten. So völlig am Bedarf vorbei gewirtschaftet, hat schon mancher die Krise gekriegt … und dann die Hand aufgehalten. 
Darum meine Warnung. Abwrackprämie zahle ich nicht!

Ingeburg Fetzer

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